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WELCHE WAHRHEIT ZEIGT EIN TITELBILD?

Du musst mehr hinterfragen. Du musst Stellung beziehen. Du musst nachdenken. Alles ohne Ausrufezeichen, denn Kunst kann keine Antworten geben und Kunst kann auch nicht auffordern. Das ist die Überzeugung von Sven Sauer. Er verfolgt seit zehn Jahren die Entwicklung von Demonstrationen auf der ganzen Welt. Die aktuelle Serie „Kami“, welche in Kooperation mit dem Dresdener Sound Artist Bony Stoev umgesetzt und inszeniert wird, hinterfragt die durch die Medien gefärbte eigene Wahrnehmung.

„Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie sehen eine Demonstration. Sie empfinden vielleicht sogar Sympathie für die Ziele. Bezahlbarer Wohnraum, Stopp von Atomtests, Kritik an der Verschwendung von Steuergeldern – das können Ziele sein, die jeder gern verfolgt und für die es sich lohnt, auch auf die Straße zu gehen“, erklärt Sven Sauer, während er Dresden besucht und mögliche Orte für seine Ausstellung finden möchte. Er denkt an das Kraftwerk Mitte oder einen öffentlichen Platz, auf dem es am Abend dunkel wird, um gut mit künstlichem Licht zu spielen. Für die „Kami-Ausstellung“ ist der Platz vor der Frauenkirche eher drittklassig. Sven Sauer arrangiert sich aber damit und will dort seine Kunst zeigen. Er hofft, dass seine Fragen dort diskutiert werden.

„Was passiert, wenn von Demonstranten plötzlich Gewalt ausgeht? Was ist dann mit den Zielen? Was ist mit denen, die dabeistehen? Unterstützer? Sympathisanten? Gegner? Was passiert, wenn mein Auto bei der Demonstration plötzlich beschädigt wird? Gerät dann meine Position ins Wanken? Und gelingt es uns, genau diese Unterscheidung medial zu transportieren?“ – fragt er. Von Tausenden Bildern, die in Hongkong, New York, Dresden oder Kiew aufgenommen werden, wählt der Fotograf vielleicht Hundert aus, die er an eine Redaktion schickt. Dort zählt dann mehr die Qualität, das Aufmerksamkeit steigernde Moment, um ein Bild für den Druck auszuwählen. Und der Betrachter hat von einer komplexen Protestbewegung nur noch den Bruchteil einer Sekunde, gerade die Momentaufnahme, um sich sein eigenes Bild zu machen. „Zu wenig für die Macht, die in einem Bild stecken kann“, sagt Sven Sauer.

„Alles, was ich selbst in der Figur sehen will, das erkenne ich auch. Selbst wenn von vorn eine private Person sichtbar ist, dann kann der zweite Blick von hinten einen Polizisten offenbaren. Das ist kein Widerspruch und auch keine Inkonsequenz, keine Unsicherheit, Kunst kann schlichtweg keine Antworten geben. Wenn jemand genau das in der Ausstellung erkennt, dann bin ich auf einem guten Weg“, bringt Sven Sauer seine Ideen noch mal auf den Punkt. Gemeinsam mit Bony Stoev wollen sie ein Erlebnis schaffen, bei dem Fragen gestellt werden, Impulse anklingen und Kontroversen gewünscht sind.

Dort, wo sich Bild und Ton treffen, geht es dem Soundkünstler darum, eine weitere Ebene zu bespielen. Der tiefe Frequenzbereich, in dem er agiert, soll die Betrachter durchaus verunsichern und die Stimmung beschreiben. Während der Installation kann Bony Stoev auf alle Besonderheiten reagieren, so dass tatsächlich das Ikonenhaft-Göttliche der Bilder weiter in den Vordergrund drängt. Schritt für Schritt soll es möglich werden, als Konsument/Betrachter ein Teil der Ausstellung zu werden, das Gefühl zu erwecken, das Leben ist nicht auf eine logische Sekunde reduziert, in einem Foto konserviert, sondern die Betrachter kommen ins Bild. Je nach Klangteppich gelingt es an einem anderen Punkt, Anschluss zu finden. Und der Sound verändert dabei die Perspektive – vom neutralen Beobachter bis hin zum Akteur soll alles möglich sein. Auf der Suche nach Neutralität, eigenen Positionen oder um die mediale Wirklichkeit zu hinterfragen.
Sven Sauer und Bony Stoev misstrauen den Bildern, die wir täglich um uns herum vorfinden. Den tatsächlichen und denen in unseren Köpfen.

Die Kami-Installation wird kuratiert von Clara Cremer.
Sie kuratierte unter anderem das LOST ART FESTIVAL, welches große mediale Aufmerksamkeit erwarb. Ihr Schwerpunkt liegt in der Ausarbeitung ungewöhnlicher Ausstellungskonzepte, die die herkömmliche Präsentationsform des White Cubes hinterfragen. Sie war unter anderem bei Yoko Onos – »Half-A-Wind Show« und »Sky Piece to Jesus Christ« in der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT involviert.

 

DIE ENTSTEHUNG MEDIALER GÖTTER

Demonstrationen gibt es bereits seit der Julirevolution 1830. Doch nie zuvor hatten Protestbewegung diese mediale Aufmerksamkeit wie heute. Wie wirkt sich diese Präsenz auf das Urteilvermögen unserer Gesellschaft aus? Der Berliner  Künstler Sven Sauer und der Dresdner Künstler Bony Stoev verfolgen seit 10 Jahren die Entwicklung von Demonstrationen auf der ganzen Welt. In der Serie “KAMI” hinterfragen sie ihre persönlichen, durch die Medien gefärbten Standpunkte auf ihre Standfestigkeit.

Ende Januar werden auf dem Neumarkt fünft menschengroße Figuren von einem Autokran abgelassen, die von eingefrorenen Tränengas umhüllt scheinen.
Die Installation mit dem Namen „Kami” (japanisch: verehrte Geister/Götter) zeigt Karaktere aus Protestbewegungen der letzten Jahre, die beabsichtigt oder unbeabsichtigt zu Medien-Ikonen wurden.
Hong Kong, Athen, Istanbul, Nantes, Cairo – welche Rolle nehmen diese künstlich erschaffenen Ikonen in unserer heutigen Zeit ein?
Wie bedingungslos können wir den Bildern vertrauen, die wir im Fernsehen sehen… oder die Bilder, die wir selbst in unseren Köpfen erschaffen?

Die Künstler Sven Sauer und Bony Stoev tauchen zusammen mit der Stadt Dresden den Neumarkt für drei Nächte in leuchtenden Bodennebel.
Die Kami-Figuren schweben wie eingefroren wenige Zentimeter über dem blauen Licht. Die Soundinstallation „Reizgas“ hüllt den Platz eine körperlich erfahrbare Klangglocke.

 

DER BEGRIFF KAMI

Der Begriff „Kami“ kommt aus dem Japanischen und steht für verehrte Geister oder Götter. Eine Sinn entsprechende direkte Übersetzung ins Deutsche ist schwierig. Die „Kami“ weisen in ihrer Bedeutung typische Eigenschafen von Heiligen auf wie z.B. Unendlichkeit, Allwissenheit, Unveränderbarkeit, Allmacht etc.
Darüber hinaus werden Ursachen für intensive, emotionale Reaktionen in zwischenmenschlichen Beziehungen, sei es Ehrfurcht, Faszination, Verwunderung, Angst oder andere Gefühle, mit dem Wort „Kami“ beschrieben.